Physiknobelpreis 1999: Gerardus 't Hooft — Martinus J. G. Veltman

Physiknobelpreis 1999: Gerardus 't Hooft — Martinus J. G. Veltman
Physiknobelpreis 1999: Gerardus 't Hooft — Martinus J. G. Veltman
 
Die Niederländer erhielten den Nobelpreis für ihre die Quantenstruktur betreffenden Beiträge zur Theorie der elektroschwachen Wechselwirkung in der Physik.
 
 Biografien
 
Gerardus 't Hooft, * Den Helder (Niederlande) 5. 7. 1946; Studium der Physik und Mathematik in Utrecht, 1969 Promotion, 1969-74 Fellow am CERN, Gastprofessuren in Harvard, Stanford, am California Institute of Technology, an der Boston University, Duke University und Antwerpen; seit 1977 Professor der Physik in Utrecht.
 
Martinus J. G. Veltman,* Waalwijk (Niederlande) 27. 6. 1931; Studium in Utrecht, 1963 Promotion, 1963-66 Tätigkeit am Europäischen Forschungszentrum CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) in Genf, Gastprofessuren in Paris, am CERN, Stanford und Leiden, seit 1981 Professor der Physik an der University of Michigan.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Um die Wechselwirkungen zwischen den Elementarteilchen zu untersuchen, werden sie in riesigen Teilchenbeschleunigern auf hohe Energie gebracht, um dann bei hoher Geschwindigkeit aufeinander zu stoßen. Diese Ereignisse sind für das menschliche Auge unsichtbar. Erst wenn die kleinen elektrischen Ströme, die das Ereignis im Detektor hervorrufen, von einem Computer gedeutet werden, kann das Geschehen rekonstruiert werden. Der junge niederländische Theoretiker Martinus Veltman, der gleich nach seiner Promotion in Utrecht im Jahr 1963 zum CERN, dem international betriebenen Teilchenbeschleuniger in Genf, kam, empfand die auf dem Bildschirm nachvollziehbaren Kollisionen als ein faszinierendes Schauspiel. Er wollte herausfinden, welche Naturkraft für dieses Geschehen verantwortlich ist.
 
 Gibt es Vektorbosonen?
 
Die Theorie der schwachen Wechselwirkung geht auf den italienischen Physiker Enrico Fermi (Nobelpreis 1938) zurück. Seiner Vorstellung folgend tragen die Teilchen, die an der schwachen Wechselwirkung teilnehmen, einen schwachen Strom, so wie die Elektronen Träger des elektrischen Stroms sind. Aber viele Physiker dachten, dass die Analogie zwischen Elektrodynamik und der schwachen Kernkraft noch enger sein könnte: So wie in der Quantenelektrodynamik die elektromagnetische Kraft von Photonen vermittelt wird, könnte die schwache Kraft mithilfe von hypothetischen Vektorbosonen erklärt werden. Es gab aber einen wichtigen Unterschied. Während die langreichweitigen elektromagnetischen Kräfte von den masselosen Photonen vermittelt werden, müssten die Vektorbosonen aufgrund der kurzen Reichweite der Kernkräfte sehr schwer sein. Dennoch hielt Veltman an der Idee der Vektorbosonen fest: Über Jahre hinweg versuchte er zu zeigen, dass die Wechselwirkung mittels Vektorbosonen zu einer konsistenten Theorie der schwachen Wechselwirkung führen würde.
 
Im Jahr 1967 schlugen die Theoretiker Sidney Glashow, Steven Weinberg und Abdus Salam (Nobelpreis 1979) vor, dass die Vektorbosonen ihre Masse durch einen Mechanismus erhalten, die als spontane Symmetribrechung bekannt ist. Veltman erkannte, dass dies zu einer konsistenten einheitlichen Theorie der schwachen und der elektromagnetischen Wechselwirkung führen konnte. Um die notwendigen komplizierten Rechnungen durchführen zu können, entwickelte er ein Computerprogramm, das algebraische Symbole manipulieren kann. Dies war das erste in einer Reihe ähnlicher Programme, ohne die einige der heutigen Forschungsbereiche undenkbar wären.
 
Zu jener Zeit begann Gerardus 't Hooft unter der Leitung von Veltman mit seiner Promotion. In den Jahren 1967 bis 1971 entwickelten sie gemeinsam eine ganze Reihe von neuen Techniken in der Feldtheorie, die es ihnen letztlich ermöglichten, die schwache Wechselwirkung zu verstehen. Aus den grundlegenden Erkenntnissen über Kausalität, Wahrscheinlichkeit und unphysikalische Freiheitsgrade in der Feldtheorie entwickelten sie praktische Verfahren, um Rechnungen durchzuführen, die im Einklang mit diesen Prinzipien standen. Ihre wichtigste Erneuerung war die Einführung der so genannten dimensionalen Regularisierung. Die Integrale, die in den Berechnungen der Quantenfeldtheorie vorkommen, sind oft im vierdimensionalen physikalischen Raum unendlich. Es gibt verschiedene Verfahren, um aus diesen unendlichen Integralen sinnvolle Zahlen zu extrahieren. Aber alle bis dahin bekannten Methoden verletzten wichtige Symmetrieeigenschaften der Theorie und konnten nicht zu einer systematischen Methode ausgebaut werden. Bei der dimensionalen Regularisierung hingegen stellt man sich vor, man befände sich in einer Welt mit (4+Epsilon)-Dimensionen, wobei Epsilon eine kleine Zahl ist; in dieser Welt sind die Rechnungen viel einfacher durchzuführen. Erst am Ende der Prozedur lässt man den Grenzwert des Epsilon gegen null gehen, um zur physikalischen Welt zurückzukehren. Die wichtigste Symmetrie, die Elektromagnetismus und schwache Wechselwirkung gemeinsam haben, ist die 1929 von dem Mathematiker Hermann Weyl vorgeschlagene und 1954 von den Physikern Chen Ning Yang (Nobelpreis 1957) und R.L. Mills in die Quantenfeldtheorie eingeführte Eichsymmetrie. Deren Prinzip, das als die wichtigste Leitlinie in der Arbeit von 't Hooft und Veltman gilt, ist später als Grundlage von allen physikalischen Wechselwirkungen erkannt worden.
 
 Abstrakte Theorie und praktische Anwendung
 
Obwohl nur wenige Experten die detaillierte Beweisführung von 't Hooft und Veltman auf Anhieb verfolgen konnten, war ihr Ergebnis bald von allen Elementarteilchenphysikern als richtig betrachtet worden. Ihre Vorstellungen haben konkurrierende Modelle aus dem Feld geschlagen, und aus ihren Arbeiten ist das Weltbild erwachsen, das heute noch als »Standardmodell« der Elementarteilchentheorie bekannt ist.
 
In der Fachwelt wurde die Wichtigkeit der Arbeit von 't Hooft und Veltman bald anerkannt. Man konnte aber damals den Standpunkt vertreten, dass die Theorie Elemente enthielt, die noch nicht experimentell bestätigt waren. Spätestens nach der Entdeckung der postulierten Vektorbosonen am CERN im Jahr 1983 wurde dieser Einwand entkräftet. Dennoch ließ die Verleihung des Nobelpreises an die beiden Niederländer bis zum Jahr 1999 auf sich warten. Dies kann nur damit erklärt werden, dass die Arbeit als zu abstrakt betrachtet wurde, um die Kriterien der Preisvergabe zu erfüllen. Tatsächlich berichtete die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« vom 13. Oktober 1999 über die Verleihung des Nobelpreises unter dem Titel »Mathematischer Trick«. Obwohl in der Arbeit sehr schwierige mathematische Techniken benutzt wurden, war letztendlich die Tatsache unübersehbar, dass die Aussagen der Theorie die Grundgesetze der Natur zu ihrem Hauptgegenstand hatten.
 
Die quantenfeldtheoretischen Methoden, die 't Hooft und Veltman entwickelten, ermöglichen über die qualitative Deutung der experimentellen Ergebnisse hinaus auch Präzisionstests des Standardmodells. Veltman hat die Wichtigkeit solcher Tests stets betont, auch um Vorhersagen über Energiebereiche machen zu können, die damals aus technischen Gründen noch nicht erreichbar waren. So ließ sich die erwartete Masse des vorhergesagten Top-Quarks gut abschätzen, um die Suche nach diesem neuen Quark, die im Jahr 1995 erfolgreich sein sollte, sinnvoll zu planen. Zur Zeit bereiten Physiker mit ähnlichen Rechnungen den Nachweis des vorhergesagten Higgs-Bosons, dem letzten noch nicht beobachteten Baustein des Standardmodells, vor.
 
Nach den gemeinsamen Arbeiten mit Veltman hat sich 't Hooft hauptsächlich Fragen der starken Wechselwirkung und der Gravitation gewidmet. Er hat als Erster die asymptotische Freiheit in der Quantenchromodynamik, der Theorie der starken Wechselwirkung, bewiesen. Viele wichtige Arbeiten zur — noch immer nicht völlig verstandenen — Frage der Einschließung der Quarks in den Hadronen stammen von ihm.
 
A. Hirshfeld

Universal-Lexikon. 2012.

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